
Erst im dritten Anlauf gelang es Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, die Ukraine zu besuchen. Im April war Steinmeier auf dem Weg nach Kiew, teilte der Regierung Zelensky in der Nähe von Warschau jedoch mit, dass er nicht willkommen sei. Letzte Woche wurde seine Reise aus Sorge über die Luftangriffe auf die ukrainische Hauptstadt abgesagt, die die deutsche Opposition für „furchterregend“ hielt. Am vergangenen Dienstag war er dort.
Nach einem Besuch in der nördlichen Stadt Koriukivka traf er Präsident Zelensky zu einem Gespräch und einer Pressekonferenz. Als Selenskyj alle Gesprächsthemen aufgegriffen hatte – finanzielle und militärische Hilfe, den Wiederaufbau der Ukraine, das „ganze Spektrum der Bedrohung durch Russland“ – fiel das Wort auf Steinmeier, der von Mut und Solidarität sprach. Zelensky kippte ungeduldig von einem Bein auf das andere, als hätte er keine Zeit für die Höflichkeiten aus Deutschland. Der Händedruck zum Abschied war cool und kurz.
Steinmeier, aber auch Bundeskanzler Olaf Scholz und ihre Partei, die SPD, werden von Fehlern der Vergangenheit heimgesucht. Gute Beziehungen zu Russland und eine hohe Abhängigkeit von russischem Gas waren jahrzehntelang Teil der sozialdemokratischen Außenpolitik. Das muss wieder Gestalt annehmen, und das geht mit Unebenheiten und Tiefen einher, das hat sich diese Woche wieder einmal gezeigt.
In Kiew wurde Steinmeier misstrauisch empfangen, weil er unter Bundeskanzler Gerhard Schröder Nord Stream 1 und später als Außenminister Nord Stream 2 vorbereitete und für die Einwände aus der Ukraine kein Ohr hatte. Steinmeier nannte seinen russischen Kollegen Sergej Lawrow in jenen Jahren „Lieber Sergej“.
Olaf Scholz sorgte diese Woche international für Fassungslosigkeit, weil er – entgegen dem Rat von sechs seiner Minister, der EU-Kommission und deutschen Geheimdiensten – dem chinesischen Staatsunternehmen Cosco erlaubte, Anteile an einem Terminal im Hamburger Hafen zu kaufen. In einer Zeit, in der Europa, von Pandemie und Krieg gezwungen, autonomer werden will, hat Scholz mehr Augen für kommerzielle Interessen als für strategische Überlegungen.
„Die Amerikaner warnen uns seit Jahren vor unserer Abhängigkeit von russischem Gas“, sagte der CDU-Abgeordnete Norbert Röttgen. „Sie sehen jetzt, wie wir diesen Fehler in unserer Beziehung zu China wiederholen. Man könnte es Hardcover nennen.”
Der Vorsitzende der SPD, Lars Klingbeil, sagte in einer Rede letzte Woche, dass wir aus den Fehlern der letzten Jahre lernen müssen. Es gebe „blinde Flecken“, es stecke „ein altes Russlandbild fest“, während das nicht mehr der Realität entspreche. „Deutschland und Russland verbindet eine besondere Geschichte“, sagte Klingbeil. Auch Russland glaubt, dass die Geschichte mit Deutschland eine besondere ist, nutzt das aber als Drohung: Dass Deutschland Waffen an die Ukraine liefert, weckt alte Erinnerungen an Deutschland als Aggressor, so russische Diplomaten in Berlin. Unter dem SPD-Vorsitzenden Klingbeil soll ein Ausschuss Säulen für eine neue Außenpolitik entwickeln.
Aber der Kurswechsel wird noch nicht überall in der Partei begrüßt. SPD-Fraktionsvorsitzender Rolf Mützenich plädierte am vergangenen Wochenende im ZDF für mehr diplomatische Bemühungen für den Frieden. Bundestagsabgeordneter Ralf Stegner schrieb auf Twitter, Krieg habe „nur einen Gewinner, nämlich den, der mit Waffenverkäufen Profit macht“ und forderte eine „militärische Eskalation“, indem man Putin ernst nehme. In einer Stellungnahme des linken Flügels der SPD, im Bundestag der dominantere Flügel, wird die Bedeutung der Abrüstung unterstrichen.
Dem linken Flügel gegenüber, der Waffenlieferungen an die Ukraine skeptisch gegenübersteht und mit einer gewissen Nostalgie auf Willy Brandts Ostpolitik zurückblickt, stehen pragmatische Sozialdemokraten mit Blick für Industrie und Wirtschaft, geprägt von der Idee des „dritten Weges“. Für sie waren die Gasgeschäfte von wirtschaftlichen Interessen und nicht von Ideologie motiviert. Gerhard Schröder war so ein Pragmatiker, und Olaf Scholz wird auch als solcher gesehen.
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Das erklärt, warum Scholz den Kauf eines 24,9-prozentigen Anteils an einem Terminal in Hamburg durch die chinesische Cosco trotz des enormen Widerstands durchsetzte: Der Hafen könnte die Investition gebrauchen, Geschäft ist Geschäft.
Scholz, der zwischen 2011 und 2018 Bürgermeister von Hamburg war, unterstützte seinen Nachfolger Peter Tschentscher (SPD) bei seiner Entscheidung. Scholz ‚ Koalitionspartner, die Grünen und auch die FDP, waren strikt gegen die Absicht. Omid Nouripour, der Fraktionschef der Grünen, sagte am Montag, die Hafenfrage sei „keine Frage der lokalen Parteipolitik, sondern eine Frage der Souveränität des Landes“.
Nächste Woche wird Scholz nach den Worten seines Sprechers einen „Tagesausflug“ nach China unternehmen, um Xi Jinping zu treffen. Der französische Präsident Emmanuel Macron bat Scholz, gemeinsam zu reisen oder zumindest den Besuch bis nach dem G20 in Indonesien zu verschieben, damit Europa als geschlossene Front auftreten kann, aber Scholz dankte.
Kritiker weisen darauf hin, dass Scholz Xi offenbar schnell mit einem Besuch beehren will und ein verpfuschter Hafen-Deal kein guter Ausgangspunkt für ein Gespräch gewesen wäre. Demnach zögert Scholz, eine klare Position zu beziehen – genauso wenig wie Scholz oder seine Vorgängerin Merkel klar Position zu Putin bezogen haben.
Am Mittwoch besuchte Scholz Macron in Paris. Neben Unverständnis über den deutschen Kurs gegenüber China herrscht in Frankreich und anderen EU-Ländern Unzufriedenheit über das umfangreiche Hilfspaket für deutsche Bürger und Unternehmen, während Scholz eine EU-weite Gaspreisobergrenze ablehnt. Auch die zurückhaltende Haltung von Scholz in Sachen Waffenlieferungen wird vor allem von osteuropäischen Ländern stark kritisiert.
Die FDP-Bundestagsabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann sieht die versöhnliche Haltung von SPD-Politikern wie Mützenich und Stegner gegenüber Russland auch in Scholz widergespiegelt. „Das Denken von Herrn Mützenich und Herrn Stegner und co ist leider eine Denkweise, die nicht nur in Bezug auf Russland, sondern auch in Bezug auf China bei den direkten Beratern von Olaf Scholz vorherrscht“, sagt Strack-Zimmermann. „Das ist fatal.Und, so das Vorstandsmitglied der Koalitionspartei weiter: “ Es ist eine gewaltige Bremse für die notwendige Revision der deutschen Sicherheitspolitik. Das ist eine schwere Belastung für unsere Koalition.”
Scholz’Sprecher betont weiterhin, dass der Anteil von 24,9 Prozent an einem der Terminals im Hamburger Hafen der chinesischen Reederei kein großes Mitspracherecht einräumt – das Unternehmen darf keine Vorstandsmitglieder ernennen und hat kein Vetorecht, anders als bei den zunächst geplanten 35 Prozent.
Kritikern zufolge ist ein geringerer Anteil aber auch für China wichtig, weil es damit im Falle eines möglichen chinesischen Angriffs auf Taiwan US-Sanktionen umgehen könnte. Die internationale Schifffahrt wird fortgesetzt. Darüber hinaus ist es für China von strategischer Bedeutung, Daten zu Warenströmen und Rohstoffbeständen zu erheben.
Der Autor: Elias Böhm
Er arbeitete mehr als 6 Jahre als Literaturredakteur und Journalist für die Dresdner Zeitung. Jetzt interessiert er sich für innenpolitische Themen und gesellschaftlich relevante Entwicklungen.