Home Politik Xi und Scholz: eine unwahrscheinliche, aber strategische Allianz

Xi und Scholz: eine unwahrscheinliche, aber strategische Allianz

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Macht die Bundesregierung auf dem alten Fuß weiter, oder hat die angekündigte Zeitenwende auch Konsequenzen für den Umgang mit China? Über diese Frage wird in den deutschen Medien viel spekuliert, jetzt, da Kanzler Scholz am Donnerstag nach China aufbricht. Kurz nach dem chinesischen Parteitag, auf dem Präsident Xi Jinping noch mehr Macht erlangte, sendet Scholz mit dem Besuch das falsche Signal, sagen Kritiker.

„Herr Scholz, bitte reisen sie nicht nach China“, appellieren 186 chinesische Dissidenten in einem offenen Brief an die Bundeskanzlerin. Table Media, ein Online-Medienunternehmen aus Berlin, veröffentlichte den Brief am Mittwoch. Die Dissidenten weisen Scholz darauf hin, dass China nicht mehr nur ein zentralistischer Staat sei, sondern auf „eine Diktatur nach nationalsozialistischem Vorbild“ zusteuere.“ Der Brief wurde von Dissidenten unterzeichnet, die in China und Deutschland leben.

Auch eine internationale Organisation von Uiguren hat Scholz aufgefordert, von der Reise abzusehen. Hunderttausende Uiguren und Angehörige anderer Minderheiten wurden von der chinesischen Regierung in Lager gesperrt, und die Beweise für Folter und Zwangsarbeit sind zahlreich.

Die Regierung Scholz – eine Koalition aus SPD, Grünen und FDP – hat in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten, dass Menschenrechte ein Schwerpunkt der Außenpolitik sind, insbesondere in den Beziehungen zu China. Gleichzeitig ist China der wichtigste Handelspartner Deutschlands. Der Vorstandsvorsitzende des Chemieriesen BASF etwa fordert ein Ende des China-Bashings, weil das Land für die deutsche Wirtschaft so wichtig ist. Er ist Teil der Wirtschaftsdelegation, die mit Scholz reist, ebenso wie die Top-Führungskräfte unter anderem von Bayer und BMW.

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) erweckt den Eindruck, mit der China-Reise von Scholz (SPD) nicht glücklich zu sein. Die Kanzlerin habe sich den Zeitpunkt ihrer Reise selbst ausgesucht, sagte sie am Dienstag, als Journalisten sie danach fragten.

Baerbock ist diese Woche in Usbekistan und Kasachstan. „Jetzt ist es wichtig, dass die Botschaften, die wir gemeinsam im Koalitionsvertrag festgelegt haben, die Botschaften, die ich auch hier in Zentralasien verkündet habe, auch in China deutlich gemacht werden“, zitiert der Spiegel den Minister. China solle wissen, dass unsere Zusammenarbeit auf fairem Wettbewerb, Menschenrechten und der Anerkennung des Völkerrechts basiere, sagte Baerbock. Dass die Ministerin ihrer Kanzlerin einen so klaren Auftrag erteilt, deutet auf Reibereien in der Koalition hin.

Baerbocks Ministerium arbeitet an einer neuen China-Strategie. Die chinesische Politik habe sich in den letzten Jahren enorm verändert, weshalb sich auch die deutsche Chinapolitik ändern müsse, sagte der Minister. China sei nicht nur Partner in globalen Fragen, sondern zunehmend auch Konkurrent und Systemrivale, so Baerbock, und darauf müsse sich die Chinapolitik ausrichten.

Scholz erklärte am Mittwoch in einem Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, was er mit dem Besuch bezweckt. Drei Jahre ist es her, dass seine Vorgängerin Merkel China besucht hat. Aufgrund der Corona-Pandemie und der strengen Anti-Covid-Politik in China sei ein früherer Besuch nicht möglich gewesen, schreibt Scholz. “Das direkte Gespräch ist jetzt umso wichtiger.“Warum er nicht mit Frankreichs Präsident Macron mitgeht, wie es die Franzosen laut verschiedenen Medien vorgeschlagen haben, erklärt Scholz in dem Gastbeitrag nicht.

Scholz befürwortet, dass China neben dem Handelspartner zunehmend zum Systemrivalen und Konkurrenten wird. Deutschland wolle sich aber nicht vom Land abkoppeln, da in den USA von „Entkopplung“ die Rede sei, schreibt die Kanzlerin. “Wir werden einseitige Abhängigkeiten durch sinnvolle Diversifikation reduzieren.“ Aber ein großer Teil des Handels zwischen Deutschland und China betrifft Produkte, für die es genügend andere Anbieter gibt und bei denen kein Monopol droht. Pragmatismus sei gefragt, sagt Scholz.
Hafen Hamburg

Scholz war in der vergangenen Woche heftig kritisiert worden, weil er dem chinesischen Staatsunternehmen Cosco erlaubt hatte, sich gegen den Rat von sechs Ministerien an einem Containerterminal im Hamburger Hafen zu beteiligen. Deutschland solle es nach der Misere mit Russland besser wissen und kritische Infrastruktur nicht an China verkaufen, war der allgemeine Tenor.

Möge Deutschland mal wieder die Interessen der deutschen Großkonzerne über die geostrategischen Interessen siegen lassen, fragt man sich in Brüssel, so der EU-Korrespondent des Handelsblatts. „Oder ist Deutschland bereit, aus Russlands verfehlter Politik zu lernen?”

Unter Kanzlerin Merkel überwogen Handelsinteressen, obwohl sie bei Treffen mit der chinesischen Regierung auch Menschenrechtsfragen ansprach. Am letzten Tag der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im Jahr 2020 unterzeichnete Merkel ein Investitionsabkommen mit China, das jedoch nicht ratifiziert wurde, da die Spannungen zwischen China und der EU im Laufe des Jahres 2021 zunahmen.

Als Scholz im vergangenen Jahr sein Amt antrat, äußerte Xi die Hoffnung, dass die Beziehungen so weitergehen könnten wie unter Merkel. Er sagte auch, er hoffe, dass die deutsch-chinesischen Beziehungen von den Regierungschefs Xi und Scholz bestimmt werden und nicht vom Außenministerium.

Aber in der kurzen Zeit seit Merkels Abgang hat sich viel verändert. Durch Corona und den Wirtschaftskrieg mit Russland ist Europa auf der Netzhaut viel deutlicher geworden, dass es sich nicht von autokratischen Weltmächten abhängig machen darf. Und China hat gezeigt, dass es diese Abhängigkeit schaffen will. Auch bei den Bundesbürgern hat sich der Blick auf China gewandelt. Laut der aktuellen Umfrage „the Berlin Pulse“ der Körber-Stiftung wollen 66 Prozent der Deutschen die wirtschaftliche Abhängigkeit von China verringern, auch wenn das seinen Preis hat. Der wachsende chinesische Einfluss wird mittlerweile auch von rund 60 Prozent der Deutschen als negativ empfunden, ein Anstieg von fast 20 Prozent in 2 Jahren.


Der Autor: Karl Mayer

Karl Mayer arbeitete als freiberuflicher Journalist beim Wirtschaftsblatt Hamburg. Er liebt Makroökonomie und Geopolitik

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