
Ein Jahr nach der Ankündigung von 100 Milliarden Euro Investitionen in die Bundeswehr blickt die deutsche Verteidigungsindustrie optimistisch in die Zukunft, äußert aber auch Kritik hinter verschlossenen Türen. „Wir sind zuversichtlich, dass wir jetzt auf breiter Front Aufträge bekommen“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), Hans – Christoph atzpodien, der Deutschen Presse-Agentur. Die Industrie stehe als Partner der Bundeswehr bereit und könne schnell loslegen, fügte er hinzu. „Die Unternehmen sind sehr motiviert, zumal einige von ihnen bereits unternehmerische Risiken eingegangen sind.“
Neben dem sogenannten Sonderfonds sei auch eine Erhöhung des regulären Verteidigungshaushalts wichtig, sagte atzpodien. Am 27.Februar 2022 kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine eine „Zeitenwende“ an, in der 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr zur Verfügung gestellt würden. Bisher wurde nur ein kleiner Teil dieses Geldes angefordert. Bis Anfang 2023 gab es keine Aufträge für Panzer oder Artillerie.
Dies lag unter anderem daran, dass im vergangenen Jahr zunächst ein vorläufiger Haushaltsplan in Kraft war, der die Vergabe neuer Aufträge erschwerte. „Es ist bedauerlich, dass bisher nur wenige Aufträge an deutsche Unternehmen aus dem Sondervermögen vergeben wurden, weil die Politik im vergangenen Jahr mit Haushaltsfragen sehr beschäftigt war, aber es kann nicht anders sein“, sagte atzpodien. Er erwartet, dass in den kommenden Wochen und Monaten Bewegung in die Auftragsvergabe kommt.
Ein anderer Vertreter der Rüstungsindustrie, der seinen Namen oder den seines Unternehmens nicht nennen möchte, ist frustriert über das lange Warten auf Aufträge. Vor einem Jahr habe das Verteidigungsministerium bei hastig einberufenen Online-Treffen mit der Verteidigungsindustrie schnelles Handeln in Betracht gezogen und eine schnelle Lieferung gefordert, erinnert sich der Manager. Damals passierte wenig. „Das Beschaffungssystem der Bundeswehr befindet sich noch im Tiefschlaf. Es ist verzögert und blockiert.“Alles dauert viel zu lange. Ein anderer Branchenvertreter sieht es ähnlich: „Nichts geht schnell – es ist wie immer, und das trotz der veränderten Weltlage.“
Waffenmanager präsentieren sich in der Öffentlichkeit anders. Das hat auch damit zu tun, dass die Bundeswehr ihr größter Kunde ist – den sie sich mit authentischen, aber unpolitischen Aussagen nicht entfremden wollen.
Verbandsvertreter atzpodien betont derweil die Dringlichkeit von Investitionen in die Bundeswehr. „Als Gesellschaft müssen wir die Notwendigkeit erkennen, noch mehr für unsere Sicherheit auszugeben und damit unsere Demokratie und Europa als Ganzes zu schützen.“Der Krieg in der Ukraine hat gezeigt, dass unser eigener Frieden dringend gesichert werden muss.
Atzpodien ist erleichtert, dass der SPD-Politiker Boris Pistorius nun im Verteidigungsministerium das Sagen hat. „Er sucht den Dialog mit uns und packt die wichtigen materiellen Fragen an.“In der Partnerschaft zwischen der Bundeswehr und den deutschen Rüstungsunternehmen ist es ihm wichtig, vertrauensvoll zusammenzuarbeiten. Das macht Pistorius auch in seiner konstruktiven Art deutlich.
Der größte deutsche Rüstungskonzern ist Rheinmetall mit rund 29.500 Mitarbeitern, davon 15.000 in Deutschland. Das Unternehmen hat im vergangenen Jahr neue Arbeitsplätze geschaffen. Die Dinge laufen gut. Die positiven Konjunkturaussichten sind auch auf die steigende Nachfrage aus anderen NATO- und EU-Ländern zurückzuführen. Russlands Angriff auf die Ukraine habe „noch einmal eine stärkere und schnellere Nachfrage erzeugt“, so ein Rheinmetall-Sprecher. „Wir haben Jahre starken Wachstums vor uns.“Das Unternehmen nähert sich einem Auftragsbestand von 30 Milliarden Euro, der im kommenden Jahr voraussichtlich auf 40 Milliarden Euro anwachsen wird.
Rheinmetall ist eines der wenigen Unternehmen, das bereits einen Kleinauftrag aus dem Sondervermögen erhalten hat. Es ging um Schutzausrüstung für Soldaten. Mit Blick auf künftige Aufträge der Bundesregierung heißt es: „Wir erwarten Großaufträge im Bereich Munition, Kampffahrzeuge oder auch weitere Digitalisierung.“
Auch dem Handfeuerwaffenhersteller Heckler & Koch geht es personell besser und er macht bessere Geschäfte – nicht wegen des Sonderfonds, sondern wegen der allgemein steigenden Rüstungsausgaben in NATO und EU. So erhielten Norwegen und Litauen – Nachbarländer Russlands – Sturmgewehre. „Um auf die gestiegene Sicherheitsbedeutung der Länder in Europa angemessen reagieren zu können, haben wir in den letzten Jahren bereits Personal aufgebaut, in Kapazitätserweiterungen investiert und unseren Rohstoffbestand deutlich erhöht“, sagt H&K-Geschäftsführer Jens Bodo Koch.
Der Autor: Elias Böhm
Er arbeitete mehr als 6 Jahre als Literaturredakteur und Journalist für die Dresdner Zeitung. Jetzt interessiert er sich für innenpolitische Themen und gesellschaftlich relevante Entwicklungen.