
Vor zehn Jahren hat Deutschland seine eigene Solarbranche auf den Kopf gestellt. Die Produktion verlagerte sich nach China, was die Deutschen – wie viele andere Länder auch – bei der Produktion von Solarmodulen von Peking abhängig machte. Das Unbehagen wächst. „Deutschland muss sich beeilen.’
Robert Habeck, der „Superminister“ für Wirtschaft und Klimaschutz (die Grünen), hat kürzlich einen handfesten Bericht mit Empfehlungen erhalten, wie die Bundesregierung „grüne“ Unternehmen angesichts der Energiewende besser unterstützen kann, schrieb das Handelsblatt. Eine der Empfehlungen, die der einflussreiche Think Tank Deutsche Energie-Agentur (Dena) an Habeck richtet: Stark in den Umbau der Solarbranche investieren.
Vor mehr als zehn Jahren hat Deutschland diese Industrie mit eigenen Händen zerstört. Nachdem der damalige Minister Peter Altmaier (CDU), ein Vertrauter von Ex-Kanzlerin Merkel, den Förderhahn zudrehte, schrumpfte der deutsche Markt für Solarmodule 2013 um 75 Prozent. Investoren drängelten sich zurück, mehr als hunderttausend Arbeitsplätze gingen verloren und Wissen floss ins Ausland.
Teilweise infolge des inzwischen berüchtigten ‚Altmaier Knicks‘ übernahm China die führende Position. Mit tiefgreifenden Folgen: Deutschland wurde – wie übrigens auch die Niederlande – bei Solarmodulen fast vollständig von China abhängig, das bereits einen Vorstoß machte.
Deutsche Nachhaltigkeitsexperten warnen nun vor den Risiken. „Wenn ein Konflikt mit China ausbricht, wie es mit Russland geschehen ist, ist die Energiewende in Deutschland und Europa zum Scheitern verurteilt“, sagt Volker Quaschning, Professor für Erneuerbare Energien an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin.
Im vergangenen Jahr importierte Deutschland nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 87 Prozent der Photovoltaikanlagen, die Sonnenlicht in Ökostrom umwandeln, aus China. Tatsächlich produzieren die Chinesen 99 Prozent aller Solarzellenkomponenten weltweit, wie zum Beispiel Siliziumwafer. “ In Europa gibt es nur noch kleine Solaranlagen und viel Know-how ist so gut wie verschwunden“, schließt Quaschning.
Die Denkfabrik Dena plädiert daher dafür, dass Deutschland – und Europa – eine eigene Industriepolitik für erneuerbare Energien entwickeln sollten, genau wie China, Indien und die USA. Das bedeutet, mehr Windräder, Solaranlagen und Stromnetze zu produzieren, um unabhängiger von anderen Ländern zu werden. Unterstützung findet der Think Tank bei fünfzig deutschen Unternehmen der Branche.
Inzwischen wird in Deutschland jedes Jahr mehr Solarstrom produziert: im vergangenen Jahr 19 Prozent mehr als im Vorjahr. Aber im Vergleich zur Windenergie (verantwortlich für über ein Viertel der deutschen Energieversorgung) hinkt der Anteil der Solarenergie mit fast 12 Prozent stark hinterher. Sogar Braunkohle (über 22 Prozent) schneidet besser ab, schätzt das Wissenschaftliche Institut Fraunhofer-Gesellschaft.
Deutschland hat den Ehrgeiz, in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts dreimal so viel Solarstrom pro Jahr zu produzieren wie im Jahr 2022. Aber der Mangel an zweihunderttausend Arbeitern hemmt diesen Ehrgeiz. In der indischen Hauptstadt Neu-Delhi unterzeichnete Deutschland daher im vergangenen Monat eine Vereinbarung, in den kommenden Jahren Zehntausende neu ausgebildete Mechaniker aus Indien zu holen.
Bis 2030 müssen 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energiequellen erzeugt werden, so der deutsche Koalitionsvertrag von 2021. Dennoch spaltet die Energiewende die Bundesregierung in Berlin. Wo vor allem die Grünen mehr Geld in die Energiewende pumpen wollen, halten sich die Liberalen zurück. Deutschland hat nach Ansicht der liberalen FDP durch die Coronakrise und den Krieg in der Ukraine genug Schulden gemacht.
Dieselbe FDP schneidet in den Umfragen schlecht ab. Parteichef Christian Lindner hofft, als Finanzminister die Kontrolle über das deutsche Finanzministerium zu behalten, eine Position, die in der Vergangenheit auf Zustimmung der Deutschen zählen konnte. Lindner erhält dabei Unterstützung von Kanzler Scholz, was wiederum bei den Grünen für Irritationen sorgt. Die Bundesregierung trifft sich diese Woche nördlich von Berlin in einem Slot, um laut Scholz gemeinsam die Energiewende „in aller Ruhe zu verhandeln“.
Quaschning hofft, dass die Liberalen irgendwann bereit sind, dem Wein Wasser hinzuzufügen. „Mit freundlichen und herzlichen Worten erreicht man nicht viel, es kommt auf die Finanzierung an.“Nach Ansicht des Professors hat die deutsche Solarbranche in China einen Rückstand von vier Jahren aufzuholen. „Deutschland muss sich beeilen, aber die europäische Politik muss auch mehr öffentliche Gelder für neue Solaranlagen freigeben.”
Der Autor: Philipp Albrecht
Nach einem Jahr Praktikum bei der Zeit-Ausgabe beschloss er, seine Hand zu versuchen, indem er Artikel im Abschnitt ... schrieb. Er interessiert sich für Außenpolitik und internationale Konflikte.