
Deutschland hat den türkischen Botschafter nach Berlin einbestellt. Grund ist die Weitergabe von Wohnadressen und anderen Daten zur Einschüchterung von Gegnern des türkischen Präsidenten Erdogan in Deutschland. Ankara streitet die Vorwürfe ab.
Die diplomatischen Spannungen zwischen Deutschland und der Türkei erreichen im Vorfeld der entscheidenden Wahlen in der Türkei am kommenden Sonntag einen Siedepunkt. Deutschland hat den türkischen Botschafter in Berlin wegen der Kritik aus Ankara an der jüngsten Verhaftung von zwei Journalisten, die die türkische Staatsbürgerschaft besitzen, aber in Deutschland arbeiten, in Verzug gesetzt.
Die Türken sind der Meinung, dass die Deutschen mit zweierlei Maß messen. Deutschland, so das türkische Außenministerium in einer Erklärung, wolle „die ganze Welt über die Pressefreiheit und die freie Meinungsäußerung informieren“, doch nun greife es „die freie Presse“ selbst an.
In der vergangenen Woche durchsuchte die hessische Polizei die Wohnungen von zwei türkischen Journalisten, die der amtierenden Regierung von Präsident Erdogan nahestehen. Die Staatsanwaltschaft Darmstadt verdächtigt die beiden, die in Deutschland für die türkische Tageszeitung Sabah und den Fernsehsender A-Haber arbeiten, der „gefährlichen Verbreitung von personenbezogenen Daten“.
Über diese Pro-Erdogan-Medien, die seiner AKP-Partei nahestehen, sollen unerlaubt die Wohnadressen und Fotos von Exil-Türken, in Deutschland lebenden Menschen mit türkischen Wurzeln, die Erdogan kritisch gegenüberstehen, verbreitet worden sein. Die Verdächtigen im Alter von 46 und 51 Jahren wurden vorerst wieder freigelassen. Als Reaktion auf die Verhaftung wurde bereits letzte Woche der deutsche Botschafter in Ankara einbestellt.
Wenn die Vorwürfe stimmen, dann sind diese Männer Komplizen des türkischen Geheimdienstes“, sagte der Essener Türkei-Forscher Burak Copur der Frankfurter Rundschau. Vor allem deutsch-türkische Journalisten würden ins Visier genommen. Dies sei besonders heikel. 2017 erhitzten sich die Gemüter, als türkische Behörden den deutschen „Welt“-Journalisten Deniz Yücel wegen Spionageverdachts ein Jahr lang inhaftierten.
Am kommenden Sonntag wird sich zeigen, ob der seit 2003 amtierende Präsident Erdogan auch in den nächsten fünf Jahren an der Spitze der Türkei stehen wird. Wie bei früheren Wahlen wirbt er um türkisch-deutsche Wähler. In Deutschland leben rund 2,9 Millionen Menschen mit türkischem Hintergrund, von denen mehr als die Hälfte in der Türkei wählen darf.
Die Wahlmanipulation durch Erdogans AKP-Partei ist in Deutschland stark rückläufig. Mehr als zwei Drittel der Deutschen sehen im Falle einer Wiederwahl Erdogans eine Verschlechterung der deutsch-türkischen Beziehungen, so eine Umfrage des ARD-Fernsehsenders.
In Nürnberg wurden nach heftiger Kritik von Anwohnern Dutzende von Erdogans Wahlplakaten in der Innenstadt entfernt. Ich lebe seit vier Jahrzehnten in Deutschland, aber so etwas habe ich in Nürnberg noch nicht erlebt. Die Stadt erlaubt den Anhängern des Autokraten Erdogan, Plakate in den Straßen aufzuhängen“, sagte der in Istanbul geborene Politiker Cemal Bozoğlu (Grüne).
Dennoch ist die Unterstützung für Erdogan in der deutsch-türkischen Gemeinschaft groß. In der ersten Runde der türkischen Wahlen haben 65 Prozent der Wähler in Deutschland für Erdogan gestimmt.
Der Autor: Karl Mayer
Karl Mayer arbeitete als freiberuflicher Journalist beim Wirtschaftsblatt Hamburg. Er liebt Makroökonomie und Geopolitik