
Deutschland muss im nächsten Jahr aufs Geld achten. Der strenge Finanzminister Christian Lindner (FDP) besteht darauf, dass der Staat weniger ausgibt. Viele deutsche staatliche Organisationen befürchten, aufgrund des schrumpfenden Haushalts in Schwierigkeiten zu geraten.
Vier Jahre lang erhielten deutsche Familien und Unternehmen großzügige staatliche Unterstützung, fast ohne Gegenleistung. Aber im Jahr 2024 will die Bundesregierung den Gürtel enger schnallen. Im Vergleich zum laufenden Haushaltsjahr sollen über 30 Milliarden Euro eingespart werden. Alle Ministerien müssen Einschnitte hinnehmen, außer – aufgrund des Kriegs in der Ukraine – das Verteidigungsministerium. Der geplante Haushalt für das nächste Jahr beläuft sich auf etwa 445 Milliarden Euro.
„Die Politik muss wieder lernen, mit dem Geld auszukommen, das sie von den Bürgern erhält“, erklärte Christian Lindner bereits früher in diesem Jahr. Nach Monaten der Verhandlungen innerhalb der Koalition erzielte der liberale deutsche Finanzminister diesen Monat eine Einigung über die Finanzlage von 2024. Sogar die Schuldenbremse, die während der Coronakrise vorübergehend aufgehoben wurde, wird wieder teilweise reaktiviert.
Die umfangreichen Sparpläne von Lindner stoßen seit Wochen auf Kritik. Der Wohlstand von Arbeitnehmern und Arbeitssuchenden sei ernsthaft gefährdet, warnt die Bundesagentur für Arbeit (BA), das deutsche Pendant zum Arbeitsamt. „Im kommenden Jahr benötigt das ‚Jobcenter‘ ausreichende Mittel, um die Leistungen gewähren zu können“, kommentiert Andrea Nahles, die SPD-Politikerin, die die Institution leitet, gegenüber der Zeitung Tagesspiegel.
Nahles beklagt, dass die staatliche Einrichtung im nächsten Jahr mit 700 Millionen Euro weniger auskommen muss als 2023. Gleichzeitig fehlen nicht nur die Mittel, es gibt auch zu wenig Mitarbeiter, um die Anträge auf Leistungen zu bearbeiten. Das alles fällt zusammen mit der Einführung des „Bürgergelds“, dem neuen Sammelbegriff für deutsche Leistungen ab dem 1. Juli. Die deutsche Sozialdemokratin setzt ihre Hoffnung auf die Bereitschaft des Bundestages. „Über den Haushalt entscheidet nicht die Bundesregierung, sondern das Parlament.“ Im September wird der Bundestag letztendlich über den Haushaltsvorschlag von Lindner abstimmen.
Minister Lindner plant außerdem, die Kindergeldzahlungen für Eltern zu kürzen, die zusammen mehr als 150.000 Euro pro Jahr verdienen. Derzeit liegt diese Grenze bei 300.000 Euro. Auch darüber gibt es – nicht nur bei den Gutverdienern – Empörung. Die angekündigte Sparmaßnahme wird als „Klassenkampf von oben“ bezeichnet, sagt Aktivist Celsy Dehner. „Die Familien, die es nicht so breit haben, geraten noch weiter ins Hintertreffen. Es sollte um sie gehen“, erklärte Dehner gegenüber dem deutschen Sender NDR.
Seit der Coronakrise sind die deutschen Staatsfinanzen aus dem Gleichgewicht geraten. Die Schuldenbremse, die lange Zeit heilig war und sogar in der deutschen Verfassung verankert war, wurde – bereits unter der Regierung von Ex-Kanzlerin Merkel (CDU) – außer Kraft gesetzt. Mit Milliardenhilfen stand der Staat bereit, um Familien und Unternehmen aufrechtzuerhalten. Dann kam die Energiekrise hinzu. Jetzt, da beide Krisen ihren Höhepunkt überschritten haben, findet Lindner, dass es an der Zeit ist, die Haushaltsregeln wiederherzustellen. Die deutschen Liberalen setzen sich dafür ein, den Schuldenberg zu reduzieren.
Dennoch sollte nach Ansicht der Ampelkoalition, die neben Lindners FDP aus der SPD von Kanzler Scholz und den Grünen besteht, gerade mehr staatliches Geld fließen. In einem Interview mit dem TV-Sender ARD rief Ricarda Lang, die Vorsitzende der ökologischen Partei, zu einer „neuen Investitionsagenda für Deutschland“ auf, um die Auswirkungen des wirtschaftlichen Rückgangs zu mildern. Deutschland befindet sich seit diesem Jahr in einer Rezession, und auch die Aussichten sind nicht rosig. In diesem Jahr wird die deutsche Wirtschaft voraussichtlich um 0,3 Prozent schrumpfen, so der Internationale Währungsfonds (IWF).
Gleichzeitig steht Deutschland vor der riesigen Aufgabe, seine Industrie umweltfreundlicher zu gestalten. Lindner und Langs Parteikollege Robert Habeck, der „Superminister“ für Wirtschaft, können sich nicht darauf einigen, wie der Strompreis für Großverbraucher bezahlbar gehalten werden kann. Für Deutschland droht die Deindustrialisierung, eine Abwanderung von Chemie- und Stahlunternehmen, die außerhalb Europas kostengünstiger produzieren können, warnen Kritiker. „Seit der wirtschaftlichen Blütezeit hat das Land geschlafen. Die deutsche Industrie befindet sich im Niedergang“, schreibt die Zeitung Welt.
In vielen anderen Bereichen im Inland muss Deutschland gleichzeitig die Segel setzen. Nach dem Verteidigungssektor plädieren deutsche Ökonomen für umfangreiche Investitionen in Bildung, Digitalisierung und Verkehr, wie aus einer aktuellen Umfrage des Wirtschaftsinstituts Ifo unter Ökonomen hervorgeht. „Jeder Bürger sollte von den staatlichen Ausgaben profitieren“, sagt Ifo-Forscher Niklas Potrafke. Dies sei derzeit nicht der Fall, so Potrafke. Nach Meinung des Ökonomen sickert „ein großer Teil der Ausgaben“ zu Parteien durch, mit denen die Regierung zusammenarbeitet.
Der Autor: Julian Schulte
Student an der Fakultät für Philologie an der Universität Berlin. Beschreibt die Ereignisse in Ihrer Stadt und im ganzen Land.